“Bauen Sie sich ein verlässliches Netzwerk auf und setzen Sie auf Synergien!”

06. April 2023

Sie sind seit 2019 Professorin für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Vergleichender Regierungslehre an der Universität Hamburg und waren davor lange an verschiedenen Universitäten in England, zuletzt an der University of Warwick, tätig. Aus welchen Gründen wollten Sie wieder nach Deutschland? Und wie war es für Sie damals, nach vielen Jahren in England an eine deutsche Universität berufen zu werden?

Ich bin nach meiner Promotion an der Universität Konstanz damals bewusst nach England gegangen, da es dort – im Gegensatz zu Deutschland – tenure-track-Stellen gab. Diese erschienen mir für meine akademische Laufbahn zu dem Zeitpunkt attraktiver als die in Deutschland üblichen Habil-Stellen an einem Lehrstuhl. Ich bin weiterhin der Meinung, dass das tenure-track-System mehr Vorteile bietet und bin dafür, dieses in Deutschland noch stärker zu etablieren – auch und insbesondere in Hinblick auf den wissenschaftlichen Nachwuchs.

Die Entscheidung, mich vor paar Jahren auf Professuren in Deutschland zu bewerben, war ebenfalls bewusst. Als ich 2005 die Lecturer-Stelle in Exeter annahm, lernte ich England als ein offenes, multikulturelles Land kennen – auch und vor allem in academia. Dies änderte sich jedoch mit Beginn der Brexit-Kampagne. Anders ausgedrückt: die öffentliche Stimmung kippte. Die in England damals weit verbreitete Ansicht, dass polnische Einwanderer den Briten die Jobs wegnahmen und wieder in ihr Land zurückkehren sollten, schlug sich auch an den Universitäten nieder. So wurden u.a. die Regelungen für das tenure-track-System aufgelockert, um ausländische Angestellte einfacher entlassen zu können. Ich kann mich auch noch genau daran erinnern, wie stolz mir meine Sekretärin ihre Zustimmung für den Brexit eröffnete. Die Fremdenfeindlichkeit, die mein Sohn erfuhr, traf mich besonders. Er – ein britischer Staatsbürger (!) – wurde u.a. in der Schule gefragt, wann er denn England verlassen würde, und im Tennisunterricht als Nazi beschimpft. Er bat mich eines Tages sogar, unsere Remain-Plakate abzuhängen, da er Angst um mich hatte. Nach dem Ausgang des Brexit-Referendums 2016 stand für mich fest, dass ich nicht mehr in England bleiben wollte. Ich bewarb mich auf verschiedene Professuren in Deutschland und erhielt einen Ruf an der Universität Hamburg. Zu Beginn war ich von der Masse an Bürokratie erschlagen. Ich bin froh darüber, eine tolle Sekretärin gefunden zu haben, die mir bei der ganzen paper work hilft. Es ist immer wieder überraschend, wie viel Administrationsaufwand durch Personal, IT, Gremienarbeit etc. anfällt. Außerdem fiel mir auf, wie viel mehr die deutschen Professorinnen im Vergleich zu England lehren mussten. Ich hatte nun vier und nicht mehr ein Seminar pro Semester wie in England zu geben. Zusätzlich musste ich mich wieder an die Lehrstuhl-Struktur gewöhnen. Insgesamt gefällt es mir aber sehr gut und ich habe tollen Anschluss, u.a. an unser hiesiges DFG-Graduiertenkolleg, gefunden.

Sie haben in mehreren Top-Journals wie American Journal of Political Science veröffentlicht und sind darüber hinaus 2024 Editor-in-Chief des renommierten Journal of Politics. Was macht für Sie ein sehr gutes Paper aus? Und haben Sie so etwas wie eine "Publikationsstrategie"?

Ein hervorragendes Paper sticht vor allem durch seine große, wichtige und gesellschaftlich relevante Forschungsfrage hervor. Meiner Meinung nach sollte man immer von der Forschungsfrage her denken. In der VWL gibt es teils die Tendenz, sich zu sehr an der Datengrundlage und der Machbarkeit zu orientieren, was zu einer Verengung der Perspektive führen kann. Der sich in der Politikwissenschaft aktuell abzeichnende Trend hin zu causal identification und experimental survey designs birgt ebenfalls das Risiko, die Forschungsfrage zu eindimensional zu behandeln. Es sollte meiner Meinung nach viel mehr um grundsätzliche Fragen gehen, die von gesellschaftspolitischer Relevanz sind und bei denen wir die Mechanismen und Strukturen einzelner Themen stärker in den Fokus nehmen. Die Politikwissenschaft ermöglicht, auch mal „große Fragen“ zu stellen und sich mit diesen tiefergehend befassen. Dieses Potenzial sollte viel mehr ausgeschöpft werden. Denn von garbage can papern, bei denen man eine hohe Anzahl an Variablen ohne eine fundierte, theoretische Grundlage analysiert, halte ich nicht so viel.

Als editor-in-chief des Journal of Politics achte ich vor allem auf das Argument, das ein Paper vorstellt und „verkaufen“ will. Da es sich hierbei um ein general interest journal handelt, ist mir die Einbettung eines Papers in größere, politikwissenschaftliche Debatten wichtig. Außerdem lege ich viel Wert auf die sprachliche Qualität eines Beitrags. Es geht mir nicht nur um eine saubere empirische Analyse und spannende Ergebnisse, sondern vor allem darum, wie das Argument vorgestellt und behandelt, aber vor allem wie das Paper insgesamt sprachlich gemacht und aufgebaut ist. Gutes wissenschaftliches Schreiben muss man lernen.

Eine Publikationsstrategie als solche habe ich nicht, jedes Projekt ist anders. Ich habe jedoch die Erfahrung gemacht, dass Kooperationen gewinnbringend sind. Anders ausgedrückt: meine Herangehensweise ist primär kooperativ. Durch die Zusammenarbeit mit einem anderen Autor bzw. einer anderen Autorin werden Synergien entwickelt, die einen fruchtbaren Forschungsprozess in Gang setzen.

Welches war eine der größten Herausforderungen Ihrer akademischen Laufbahn? Und wie sind Sie damit umgegangen?

Insgesamt hatte ich viel Glück und allen voran viel Unterstützung im Laufe meiner akademischen Karriere erfahren, für die ich sehr dankbar bin. Ich wäre ohne die Mithilfe vieler Menschen nicht da, wo ich jetzt bin. Die Diskriminierung von Frauen in der Wissenschaft sehe ich jedoch als eine der größten Herausforderungen an, die mir in dieser Form nicht von Anfang bewusst war. Früher dachte ich immer, dass es keiner Frauenförderung bedarf, da ich fair, d.h. genauso wie Männer, behandelt worden bin. Dies änderte sich jedoch, als ich meinen Sohn bekam, während ich an der Universität Essex war. Ab diesem Zeitpunkt nahm ich eine latente Benachteiligung wahr. Zum Beispiel wurde ich nicht mehr zu Events an der Universität, die abends stattfanden, eingeladen. Dies wurde damit begründet, dass ich ja nun ein Kind habe und darauf aufpassen müsse. Außerdem wurde mir gesagt, dass ich die Seminarreihe, die ich sonst immer angeboten hatte, nicht mehr durchführen könne. Stattdessen wurde mir ein Job mit viel Administrationsaufwand erteilt. Mein Wunsch, mein bisher hohes Lehrdebutat zu reduzieren und dieses in Teilen an andere abzugeben, stieß bei dem damaligen Head of Department außerdem auf Unverständnis – obwohl ein Kollege von mir bereits zugesagt hatte, ein paar Stunden von mir zu übernehmen. All diese Erfahrungen führten dazu, dass ich mich nicht nur an anderen Universitäten bewarb und eine Stelle an der Universität Warwick annahm, sondern mich auch für Frauenförderung auf verschiedenen Ebenen einsetzte. So biete ich u.a. bei Workshops oder anderen Formaten immer eine Session für female scholars an und habe bei der European Political Science Association das diversity committee gegründet.

Sie sind alleinerziehende Mutter eines Sohnes. Wie vereinbaren Sie Familie und Beruf?

Ich habe meinen Sohn bekommen, nachdem ich tenured war – ein Aspekt, der meiner Meinung nach wichtig zu erwähnen ist. Fünf Monate nach der Geburt habe ich jedoch wieder angefangen zu arbeiten. In England ist die Kinderbetreuung eine Frage der Finanzen; alles wird letzten Endes vom Markt und nach Marktpreisen geregelt. Ich brauchte also das Einkommen, um meinen Sohn bei der universitätsinternen nursery betreuen zu lassen. Das erste Jahr in Warwick war jedoch sehr hart. Die Lage verbesserte sich aber, als ich die Stelle in Warwick annahm. Mein Gehalt verdoppelte sich und ermöglichte mir, eine Vollzeit-Nanny sowie ein Au-Pair anzustellen. Außerdem gab es eine Krippe auf dem Campus, der Platz kostete 1200 Pfund pro Monat. Ich nahm meinen Sohn oft auch auf Konferenzen mit, was nicht immer einfach, aber machbar war.

Generell stelle ich fest, dass es positive Veränderungen hin zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf gibt. Trotzdem ist es weiterhin herausfordernd. Academia verschafft einem ein vergleichsweise hohes Maß an Flexibilität und Freiräume. Jedoch darf man nicht außer Acht lassen, dass ein hohes Maß an Output vorausgesetzt wird – und zwar egal, ob man ein Kind bekommen hat oder nicht. Die sogenannte Mutterschaftsfalle, die mit einer Benachteiligung von Frauen einhergeht, gibt es nach wie vor. Es ist meiner Meinung nach entscheidend, vorherrschende Einstellungen in der Wissenschaft zu ändern. Die scientific community im Allgemeinen und Berufungskommissionen im Besonderen sollten sich viel mehr fragen, was einen well-rounded academic ausmacht. Dies sind meines Erachtens vor allem Wissenschaftler*innen, die gut lehren, Transfer betreiben, in die Öffentlichkeit wirken und sich darüber hinaus auch engagieren. Publikationen in Top-Journals alleine reichen nicht aus. Die bisherige Maxime „höher, weiter, schneller“ sollte daher auch stärker reflektiert werden.

Welches war einer der wertvollsten Tipps, den Sie im Laufe Ihrer Karriere erhalten haben? Und welchen Tipp würden Sie Nachwuchswissenschaftlerinnen geben?

Ich finde es wichtig, sich ein gutes, kompetentes und vor allem verlässliches Netzwerk an Ko-Autor*innen aufzubauen und dieses zu pflegen. Ich hatte herausfordernde Phasen, in denen meine Ko-Autoren mich unterstützten und auf die ich zählen konnte. Das ist viel Wert. Darüber hinaus empfehle ich Nachwuchswissenschaftlerinnen, sich ein (weibliches) Netzwerk aufzubauen und sich in diesem Zusammenhang auch pro-aktiv Mentorinnen zu suchen. Ich persönlich kenne kaum eine Professorin, die eine Nachwuchswissenschaftlerin nicht beraten wollen würde. Man sollte also keine Scheu haben, auf andere Wissenschaftlerinnen zuzugehen. Außerdem habe ich die Erfahrung gemacht, dass es wichtig ist, „Nein“ sagen zu können – und zwar auf eine freundliche und diplomatische Art und Weise. Man kann alleine nicht alles machen und nicht bei allem dabei sein. Es ist entscheidend, das eigene Zeit- und Ressourcenmanagement realistisch einzuschätzen. Hierbei ist es wichtig, Prioritäten zu setzen. Ich zum Beispiel nehme immer Anfragen als externe Gutachterin in Berufungskommissionen an. Mir ist es wichtig, dass zumindest eine weibliche Stimme in einem teils immer noch stark männlich dominierten Gremium vertreten ist.