“Man ist Teil eines großen Ganzen”

01. Oktober 2022

Sie haben seit diesem Wintersemester die Professur für Vergleichende Politikwissenschaft an der Leuphana Universität in Lüneburg inne. Herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle! Wann kam bei Ihnen der Wunsch auf, in die Wissenschaft zu gehen und Professorin zu werden?

Bei mir war das eher ein schleichender Prozess. Zu meinem Hintergrund: ich komme aus einer Nicht-Akademiker Familie und die Uni war nach dem Abitur etwas Fremdes für mich. Ich wusste damals gar nicht, was Wissenschaft genau ist. Glücklicherweise wurde ich im dritten Bachelor-Semester studentische Hilfskraft bei meinem späteren Doktorvater (Prof. Klaus Armingeon) und bekam dort sehr schnell einen Einblick in die Forschung. Ich wirkte bei kleineren Projekten mit und entdeckte dabei meine Begeisterung für die Wissenschaft. Ich wurde damals gefragt, ob ich in der Zukunft promovieren wolle, war mir jedoch unsicher.. Ich habe in dieser Zeit viele Berufswege in Betracht gezogen, und habe zum Beispiel während des Bachelors ein Semester pausiert um ein Praktikum in einer NGO in Bolivien zu absolvieren. Eine für meine spätere Laufbahn entscheidende Station war das Semester an der University of North Carolina at Chapel Hill (USA), das ich während meines Masterstudiums verbrachte. Dort besuchte ich Kurse von der Graduate School, in denen ich viele Doktorierende kennenlernte und die mir viel Freude bereiteten. Hier wurde mir klar, dass ich promovieren und in die Wissenschaft gehen will. Ich begann also den PhD mit dem dezidierten Ziel, den wissenschaftlichen Weg für mich auszuprobieren. Denn ob dieser am Ende in eine Professur mündet ist ja dennoch unsicher. Doch nun hat es glücklicherweise geklappt.

Sie haben vor Kurzem den Frank Cass Preis für das beste Paper und den Dissertationspreis der SVPW (Swiss Political Science Association) erhalten. Was macht Ihrer Meinung nach gute Forschung im Allgemeinen und ein gutes Paper im Besonderen aus?

Dies ist eine schwierige Frage, die man nicht abschließend beantworten kann. Gute Forschung sollte meines Erachtens vor allem eines: zum Nachdenken anregen. Ein gutes Paper ist eines, das einen Denkimpuls gibt und neue Perspektiven über ein Thema aufzeigt, über die man so noch nicht nachgedacht hat. Generell zeichnet sich gute Forschung über einen innovativen Charakter aus. Ein starkes Papier macht also entweder ein neues Argument oder bedient sich eines innovativen Forschungsdesigns. Jedoch sollte man Innovation nicht als Selbstzweck sehen. Meiner Meinung nach knüpft gute Forschung gekonnt an bestehende Forschung an und sticht darüber hinaus durch innovative Elemente hervor. Momentan stehen in meinem Fachbereich vor allem methodische Entwicklungen im Vordergrund. Ich finde aber, dass die theoretische Innovation nicht verloren gehen sollte Im Idealfall beherrscht man beides.

Welche war eine der größten Herausforderungen Ihrer akademischen Laufbahn? Und wie sind Sie damit umgegangen?

Die Zeit zwischen PhD und Post Doc, in der ich viel Ablehnung erfuhr, war für mich eine sehr herausfordernde Zeit. Papiere, die ich am Ende des PhDs einreichte, wurden teils mehrfach abgelehnt und Bewerbungen auf die paar wenigen Post-Doc Stellen, die es gab, blieben ebenfalls erfolglos. Das war sehr schwierig, denn ich wusste, dass ich eine Post-Doc Stelle brauchte, wenn ich den wissenschaftlichen Weg weiter gehen will. Doch zum Glück erhielt ich in dieser Zeit viel Unterstützung. Mein wissenschaftliches Umfeld sprach mir Mut zu und riet mir, mich von diesen Ablehnungen, die nun mal Teil der Wissenschaft sind, nicht zu sehr zu entmutigen lassen. Ein besonders wichtiger Anker in dieser Zeit war mein privates Umfeld. Viele in meinem Familien- und Freundeskreis haben wenig Berührungspunkte mit der Wissenschaft und wissen somit auch nicht unbedingt, was ein peer-reviewed Journal ist. Diese Perspektive von außen half mir damals sehr. Mir wurde noch bewusster, dass es im Leben nicht nur um das Berufliche geht.

In Ihrer Forschung setzen Sie sich primär mit der Frage auseinander, wie soziale Transformationen, allen voran wachsende Ungleichheit und ein abnehmendes Vertrauen in politische Institutionen den Parteienwettbewerb im Besonderen und das politische System im Allgemeinen prägen. Wie sind Sie zu Ihren Forschungsschwerpunkten gekommen?

Meine Forschungsschwerpunkte rührten immer aus meinen persönlichen, genuinen Interessen. Ich habe nie strategisch überlegt, welche Themen aktuell besonders gefragt sind und mich daran ausgerichtet. Bei mir stand das persönliche Interesse somit ganz klar über strategischen Aspekten. Zu Beginn meines Bachelorstudiums besuchte ich ein Seminar über Parteiensysteme und war fasziniert von der Frage: Wie funktioniert Politik in Zeiten von Unsicherheit und politischer Instabilität? Diese Frage und alle daraus abzuleitenden Fragen bestimmen bis heute meine Forschung. Ich finde es unheimlich spannend zu untersuchen, wie gesellschaftliche Interessen in Politik übersetzt werden, wenn es kein klar strukturiertes Parteiensystem gibt.

Welches war einer der wertvollsten Ratschläge, den Sie im Laufe Ihrer Karriere bekommen haben? Und welchen Tipp würden Sie Nachwuchwissenschaftlerinnen geben?

Ich habe zwei Tipps, die ich hier erwähnen möchte. Zum einen mein ganz persönlicher Ratschlag an Nachwuchswissenschaftlerinnen: Wenn Sie etwas wollen, dann machen Sie sich nicht zu viele Gedanken, ob dies klappen könnte. Machen Sie einfach. Reichen Sie das Paper ein, schicken Sie die Bewerbung für die Stelle, die Sie interessiert, ab. Wir machen uns meines Erachtens oft zu viele Gedanken darüber, ob etwas klappen könnte und bewerben uns dann doch nicht – oft aus Angst, dass es vielleicht doch nichts werden könnte. Zum anderen ein Ratschlag meines Doktorvaters, den ich besonders wertvoll finde, da dieser mir eine gute Perspektive auf die Wissenschaft gegeben hat: Man ist selbst ein Teil eines großen Ganzen. Nehmen Sie also sich, Ihre eigene Forschung oder auch ein spezifisches Papier nicht zu ernst. Mir hat das sehr geholfen, meine Rolle in der Wissenschaft zu finden. Anstatt sich also auf einzelne Projekte und einzelne Paper zu sehr zu versteifen, ist es sinnvoll, das große Ganze im Blick zu behalten und sich zu fragen, was unsere (grundsätzliche) Aufgabe als Wissenschaftlerinnen ist.