“Gehen Sie Ihren Weg und lassen Sie sich von der akademischen Unsicherheit nicht zu sehr einschüchtern!”

13. September 2023

Sie sind seit 2023 ordentliche Professorin für Europastudien an der Universität Fribourg (CH) und waren davor Assistenzprofessorin für Politikwissenschaft/Europäische Integration an der Sciences Po in Paris. Wann kam bei Ihnen der Wunsch auf, in die Wissenschaft zu gehen und Professorin zu werden?

Ich habe nach dem Masterstudium zunächst zwei Jahre als Projektleiterin bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik gearbeitet und hatte bis zum letzten Jahr meines Doktorats vor, im Anschluss an einen Think Tank zurückzukehren und dort in einer forschungsorientierten Position praktische Politikberatung anzubieten. In den Schlusszügen der Dissertation hatte ich dann eine sehr positive Peer-Review-Erfahrung und habe zu schätzen gelernt, wie intensiv sich KollegInnen in der Wissenschaft mit der Arbeit ihrer Peers auseinandersetzen. Diese Tiefe des Dialogs ist in der politikrelevanten Forschung schlicht nicht möglich. Dort geht es meist darum, möglichst schnell eine klar argumentierte Position zu entwickeln und dann auch in den Medien und gegenüber politischen Akteuren offensiv zu vertreten. Diese Nähe zur Politik und zu konkreten Entscheidungsprozessen ist zwar spannend, ich fand es aber oft auch unbefriedigend, in meiner inhaltlichen Tätigkeit stark von aktuellen Ereignissen getrieben zu sein. So habe ich mich entschlossen, es nach Abschluss der Doktorarbeit erstmal weiterhin in der Forschung zu versuchen, aber immer mit einer Think-Tank-Karriere als Plan B im Hinterkopf.

Sie haben einige Stationen im Ausland absolviert und waren u.a. als Gastwissenschaftlerin in Harvard und Oxford. Wie sehr haben Sie diese Aufenthalte geprägt? Und gibt es etwas, dass Sie aus den USA oder auch UK übernommen haben?

Als Deutsch-Britin bin ich bereits mit verschiedenen Kulturen gross geworden und fand das Eintauchen in verschiedene Kulturen schon immer spannend. Gleich nach dem Abitur in Köln bin ich ins Ausland gezogen, zunächst nach Frankreich, wo ich das deutsch-französischen Grundstudiengang der Sciences Po absolviert habe und im Anschluss ein Doppel-Masterprogramm in Paris und an der FU Berlin. Bei meiner Rückkehr nach Deutschland fand ich es faszinierend festzustellen, wie unterschiedlich die beiden akademischen Systeme sind: an der Sciences Po der klare Fokus auf die Ausbildung einer Verwaltungselite, die sich schnell in eine Vielzahl Themen einarbeiten kann; in Deutschland eine starke Betonung von Methoden und der Erstellung langer schriftlicher Arbeiten, die für Karrieren außerhalb der Wissenschaft oft weniger hilfreich sind. Mein Doktorat am University College London schien da das Beste beider Welten zu verbinden: eine solide wissenschaftliche Ausbildung, aber zugleich ein Bewusstsein dafür, dass Forschungsergebnisse im Idealfall auch für die reale Welt relevant sein und entsprechend einem breiteren Publikum kommuniziert werden sollten. Spätere Forschungsaufenthalte habe ich dann vor allem für Kontakte mit KollegInnen vor Ort genutzt. Diese Möglichkeit, dank Sabbaticals über den Verlauf der gesamten Karriere immer wieder für ein paar Monate in ganz unterschiedlichen Kontexten arbeiten zu dürfen, finde ich sehr bereichernd.

Welches war eine Ihrer größten Herausforderungen während Ihrer akademischen Laufbahn? Und wie haben Sie diese gemeistert?

Nach Abschluss meines Doktorats gab es einen Moment des Innehaltens. Ich hatte den Eindruck, eine Eintrittskarte gelöst zu haben ohne zu wissen, wohin die Reise geht. Im Prinzip hatte ich mich für die Fortsetzung einer wissenschaftlichen Karriere entschieden, musste aber feststellen, dass es nur sehr wenige Postdoc-Optionen gab, die mir erlauben würden, meine junge Familie mit zwei Kindern finanziell abzusichern. Ich hatte dann das Glück, eine Postdocstelle an der ETH Zürich mit eigener Projektfinanzierung zu erhalten, so dass ich gleich zu Beginn meiner Postdoczeit eigene Forschungsschwerpunkte setzen und nach Abschluss dieses ersten Projekts beim Schweizer Nationalfonds auch Gelder für eine Nachwuchsforschungsgruppe einwerben konnte.

Neben Ihren professoralen Tätigkeiten sind Sie noch Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sowie im Wissenschaftlichen Direktorium des Instituts für Europäische Politik. Wie bekommen Sie all die verschiedenen Tätigkeiten unter einen Hut?

Ich schätze an einer akademischen Karriere sehr die Diversität der Aufgaben und die Möglichkeit, im Laufe einer Woche ganz unterschiedlichen Tätigkeiten nachzugehen. Die Mitgliedschaft in den wissenschaftlichen Beratungsgremien der DGAP und des IEP erlaubt mir, trotz der Entscheidung zur Professur eine Verbindung in die Think-Tank-Welt aufrechtzuerhalten. Um diesen verschiedenen Aufgaben gerecht zu werden plane ich meine Tage sehr bewusst und schaue, dass ich Tätigkeiten an meine kognitive Leistungsfähigkeit anpasse, also etwa Vormittage überwiegend für die Forschung und zum Schreiben freihalte, während ich Treffen oder die Vorbereitung der Lehre eher auf den Nachmittag lege. Mir ist auch sehr wichtig, meine Wochenenden großeils frei von Arbeit zu halten. Ich verbringe oft Zeit in der Natur, um Energie zu tanken und motiviert in die neue Woche zu starten.

Welches war einer der wertvollsten Tipps, den Sie während Ihrer akademischen Laufbahn bekommen haben? Und welchen Tipp würden Sie Nachwuchswissenschaftlerinnen mit auf den Weg geben?

In meiner Bewerbungszeit um Tenure-Track-Stellen schienen mir die scheinbar perfekten Lebensläufe erfolgreicher ProfessorInnen praktisch unerreichbar. Eine Mentorin sagte mir damals, dass akademische Karrieren oft sehr linear aussähen, in den seltensten Fällen aber von den betroffenen Personen auch so linear erlebt würden. Ich fand diese Aussage unheimlich hilfreich und denke auch heute noch oft an diesen Satz zurück. Inzwischen sieht auch mein akademischer Werdegang ziemlich linear aus – aber ich kann bestätigen, dass er sich nicht immer so angefühlt hat! Nachwuchswissenschaftlerinnen würde ich raten, ihren Weg zu gehen, ohne sich von der Unsicherheit einer akademischen Karriere allzu sehr einschüchtern zu lassen. Ein Plan B kann hier sehr hilfreich sein, um eine Perspektive zu behalten und eine Professur nicht als alleiniges Karriereziel zu idealisieren!