“Die Vernetzung mit anderen Wissenschaftlerinnen ist zentral!”

31. August 2023

Wie verlief Ihr Weg in die Wissenschaft und wann kam bei Ihnen der Wunsch auf, Professorin zu werden?

Mein Weg in die Wissenschaft war nicht straight, ich bin eher in dieses Feld reingestolpert. Der Wunsch, Professorin zu werden, ist bei mir auch nie direkt aufgekommen –was wahrscheinlich recht typisch für Frauen ist. Nach dem Studium habe ich in Mannheim promoviert – und zwar auch nur, weil es mir ein Professor anbot. Dort hatte ich ein ganz tolles, lehrreiches Umfeld. Jedoch hatten wir damals in der Soziologie nur Professoren. Das waren alles tolle Männer und Wissenschaftler, die uns sehr gefördert und von denen wir viel gelernt haben. Aber mein Bild eines Professors war eben immer männlich geprägt. Ich hatte während meines Studiums und meiner Promotion keine Professorinnen und wäre nie auf die Idee gekommen selbst eine zu werden.

Nach Beendigung meiner Promotion habe ich eine unbefristete Stelle beim Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung angenommen und wurde recht schnell Bundesbeamtin auf Lebenszeit. Die Dauerperspektive und die damit einhergehende Sicherheit waren für mich sehr wichtig. Im Gegensatz zu heute war die Angst, nach dem Studium arbeitslos zu werden, damals ziemlich verbreitet. Neben den Vorteilen, die ich als Beamtin genoss, wurde mir im Laufe der Zeit jedoch klar, dass ich auf Dauer keine Wissenschaft in diesem Kontext machen wollte. Außerdem stand irgendwann zur Diskussion, meinen Arbeitsbereich (die Migrationsforschung) an eine Vollzugsbehörde auszulagern. Gleichzeitig war eine Juniorprofessur mit Tenure Track für Soziologie mit Schwerpunkt Migration in Göttingen ausgeschrieben – eine Professur, die genau auf mein Profil passte und durch das Tenure Track Profil damals (wie auch noch heute) ungewöhnlich attraktiv war. Als mir die Ausschreibung von verschiedenen Leuten geschickt wurde, bewarb ich mich darauf – mit Erfolg. Das Bundesamt beurlaubte mich für die Zeit von fünf Jahren bis ich Tenure hatte – ein großes Privileg, dem ich mir sehr bewusst bin. Vor Ablauf der Beurlaubung erhielt ich einen externen Ruf auf eine unbefristete Professur und konnte in Göttingen entsprechend rückerhandeln. Da ich mich jedoch nie als Professorin sah, zögerte ich dennoch, bevor ich mich endgültig für eine universitäre Karriere entschied.

Sie sind Mutter eines Kindes. Wie vereinbaren Sie Wissenschaft und Familie?

Meine Tochter kam zwei Jahre nach Antritt der Juniorprofessur auf die Welt. Insgesamt hatte ich damals günstige Bedingungen. Zum einen habe nur ein Kind, das zudem sehr pflegeleicht ist. Zum anderen ist mein Lebensgefährte älter als ich und in einer anderen Karrierephase. Er musste also z.B. nicht mehr so oft auf Konferenzen und Tagungen fahren wie ich oder räumlich mobil sein. Insgesamt haben wir uns das beide sehr egalitär aufgeteilt. Das erste Halbjahr nach der Geburt war ich in Elternzeit, dann übernahm er – und pendelte mit mir von unserem Wohnort in Wiesbaden nach Göttingen, da unsere Tochter noch gestillt wurde. Ich hatte zudem immer viel Glück und konnte von Anfang an sehr gute Betreuungsangeboten an der Universität nutzen. Ich habe größten Respekt vor jüngeren Wissenschaftlerinnen, die mehrere Kinder haben, deren Partner in der gleichen Karrierephase sind wie sie und die möglicherweise noch Schwierigkeiten haben externe Betreuungsangebote zu finden.

Rückblickend gesehen hätte ich sicherlich ein paar Dinge anders machen können. Zum Beispiel habe ich zwei Wochen vor der Geburt meiner Tochter den Vortrag für die Tenure Evaluation gehalten. Mir war es damals wichtig, auch unter diesen Umständen 100% commitment für den Job zu demonstrieren. Außerdem habe ich während der Elternzeit meinen ersten großen Forschungsantrag geschrieben. Wenn meine Tochter tagsüber eingeschlafen ist, habe ich mich also an den Schreibtisch gesetzt. Später sagte eine Kollegin zu mir, dass man bei mir gar nicht gemerkt habe, dass ich Mutter geworden sei. Sie meinte das als Kompliment, eine Familie zu gründen sollte aber nichts sein was man im stillen Kämmerlein macht. Heute grenzen sich viele Wissenschaftler*innen in der Familienbildungsphase viel besser und selbstbewusster ab und fordern eine berufliche Auszeit. Das finde ich richtig und bewundernswert.

Hat man eine Dauerstelle ergattert - was viel zu selten und zu spät erfolgt - bietet unser Job in Sachen Vereinbarkeit viele Vorteile. Als Professorin genießt man ein sehr hohes Maß an Flexibilität und Freiheit: wenn meine Tochter zum Beispiel morgens zum Arzt muss, kann ich sie dorthin begleiten. Außerdem kann ich meine Lehr- und Forschungszeit weitgehend selbst einteilen. Diesen Vorteil könnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Kind sicherlich noch besser und selbstbewusster ausnutzen.

Welche war eine der größten Herausforderungen Ihrer wissenschaftlichen Karriere? Wie haben Sie diese gemeistert?

Einer meiner schwierigsten Momente war sicherlich der Moment, in dem ich alleine in meinem neuen Büro in Göttingen saß. Ich fühlte mich von den verschiedenen Aufgaben ziemlich überfordert. Ich habe meine Überforderung mit diesen Herausforderungen recht offen kommuniziert. Glücklicherweise hatte ich Kollegen und Kolleginnen, die mich unterstützt haben und dennoch als Wissenschaftlerin ernst genommen haben. Mit der Zeit wächst man außerdem in diese Aufgaben ein und merkt, dass alle nur mit Wasser kochen. Man fühlt sich also nicht mehr so eingeschüchtert wie am Anfang. Zudem erlebte ich, dass man auch als neue und jüngere Kollegin ernst genommen wird.

Sie sind außerhalb des universitären Kontexts sehr aktiv und sind Mitglied in beratenden Kommissionen beim Familienministerium, der Kultusministerkonferenz und vor einiger Zeit sogar für den französischen Präsidenten Macron. Außerdem waren Sie viele Jahre Mitglied im Sachverständigenrat für Migration und Integration (SVR). Wie bekommen sie die vielen Aufgaben neben der Professur alle unter einen Hut?

Ehrlich gesagt bekomme ich die ganzen Aufgaben nicht so gut unter einen Hut. Ich würde mich selbst auch nicht als besonders gut organisiert beschreiben. Glücklicherweise habe ich eine ganz tolle Assistentin, mit der ich schon lange zusammenarbeite. Ohne sie könnte ich das alles nicht stemmen. Die große Herausforderung besteht darin zu lernen, auch mal Nein zu Anfragen und Projekten zu sagen. Das Problem ist nur, dass einem ja viele Aufgaben wichtig sind: neben der Forschung und Lehre ist es mir auch wichtig, mich für mehr Nachhaltigkeit an unserer Uni einzusetzen und in der Politikberatung mitzuwirken. Glücklicherweise findet hier ein Generationenwandel statt: heutzutage gibt es für jüngere Wissenschaftler*innen viel mehr Weiterbildungs- und Beratungsangebote, bei denen so Organisationsskills und Zeitmanagement erworben werden können. In meiner Wissenschaftler*innengeneration sind alle eher davon ausgegangen, dass das alles nicht so wichtig ist bzw. einem in die Wiege gelegt wurde.

Welches war einer der wertvollsten Tipps, den Sie während Ihrer Laufbahn bekommen haben?

An einen Tipp meines damaligen Doktorvaters Hartmut Esser musste ich häufig denken: Man muss die Karriere nicht systematisch und detailliert planen, sollte aber an bestimmten Kreuzungen wissen, was und wohin man will. Einen weiteren guten Ratschlag erhielt ich von einem anderen Mannheimer Kollegen. Er machte mich auf die Gestaltungsmacht, die man als Professorin hat, aufmerksam. Sich bewusst zu werden, dass man in einer Position ist, in der man selbst seinen Arbeitskontext mitgestalten und vieles selbst entscheiden kann, ist wichtig. Ich persönlich finde die Vernetzung mit anderen Wissenschaftlerinnen zentral. Gerade im Rahmen des Exzellenzwettbewerbs, in dem man im Vergleich zu anderen professoralen Tätigkeiten eng mit anderen Kolleg*innen zusammenarbeitet, habe ich viel mit anderen Professorinnen gesprochen – und zwar auch über die Situation von Frauen in der Wissenschaft. Da erkannte ich, dass viele Frauen die gleichen Erfahrungen machen. Auch wenn es ausgeprägte Formen von Sexismus an den Universitäten nicht (mehr) gibt, bestehen weiterhin subtile Formen der Ungleich-behandlung. Diese müssen zur Sprache gebracht und geändert werden.