“Der ehrliche Austausch mit guten Kolleginnen hilft bei Frust”

14. Dezember 2020

Frau Dr. Zimmer, Sie sind promovierte Soziologin und machen seit 2019 Ihren Post-Doc am DZHW. Hatten Sie schon immer vor, im Wissenschaftsbereich zu arbeiten?

Nein, ganz und gar nicht. Ich habe relativ lange studiert, da ich nebenbei viel arbeiten musste – in manchen Phasen habe ich eigentlich eher gearbeitet und das Studium lief nebenher. Zwar fand ich die Soziologie schon von Beginn des Studiums an spannend und bereichernd, aber erst im Rahmen der konzentrierten Vorbereitungen auf meine Diplomprüfungen hatte ich plötzlich das Gefühl, mich den großen soziologischen Zusammenhängen zu nähern. Das war ein echtes Aha-Erlebnis und hat dazu geführt, dass ich unbedingt weiter soziologisch arbeiten wollte. Hinzu kam, dass eine sehr gute Freundin von mir parallel ihren Abschluss gemacht und ganz selbstverständlich mit einer Promotion begonnen hatte. Diese Freundin war für mich zu Beginn der Promotion ein wichtiges Role-Modell, an dem ich mich – aus einem nicht-akademischen Elternhaus kommend – orientieren konnte.

Wie sieht Ihr Post-Doc-Alltag am DZHW normalerweise aus? Welche Eigenschaften sind dabei besonders gefragt?

Das Schöne am wissenschaftlichen Arbeiten ist, dass es so etwas wie Alltag im klassischen Sinne gar nicht wirklich gibt. Ich selbst bin in einem Drittmittelprojekt beschäftigt, das sich von der Konzeption und Durchführung einer standardisierten Befragung über die Analyse der empirischen Daten bis hin zum Verfassen von Handlungsempfehlungen für Politik und Praktiker*innen auf der einen Seite und dem Verfassen wissenschaftlicher Publikationen auf der anderen Seite erstreckt. Das ist schon sehr abwechslungsreich. Daneben arbeite ich aber auch immer mal in kleineren „Nebenprojekten“. Das können kleinere Drittmittel- oder auch Artikelprojekte mit Kolleg*innen sein. Für all diese Tätigkeiten ist es hilfreich, wenn man analytisch klar und strukturiert arbeitet – da hat mir die Promotion schon sehr geholfen. Außerdem ist es gut, wenn man seine Neugierde nicht verliert. Schlussendlich braucht man die Neugierde, Dingen auf den Grund gehen zu wollen. Und das funktioniert nur dann zufriedenstellend, wenn man eine analytisch klare Fragestellung formuliert und diese strukturiert verfolgt.

Sie haben über den wissenschaftlichen Karriereweg der Juniorprofessur promoviert. Wie genau kamen Sie zu diesem Dissertationsthema?

Das Thema ist gewissermaßen ein Konglomerat aus meinem wissenschaftlichen Herzensthema, der Soziologie sozialer Ungleichheit, und den damaligen Gelegenheitsstrukturen, die sich durch einen Institutswechsel ergeben haben. Unmittelbar nach meinem Studium habe ich im Bereich der Soziologie sozialer Ungleichheit gearbeitet. Die soziale Ungleichheit ist auch heute noch mein Hauptfokus: Egal, welches Thema ich betrachte, ich betrachte es aus einer Ungleichheitsperspektive. Nach einem Jahr Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin musste ich den Arbeitsbereich wechseln, da der Lehrstuhlinhaber emeritiert ist. Ich bin dann in die Wissenschafts- und Hochschulforschung gewechselt und habe mein Promotionsthema entsprechend angepasst. Die soziale Ungleichheit ist mir aber als zentrales Querschnittsthema in der Dissertation erhalten geblieben.

An der Hochschullandschaft in Deutschland wird oft Kritik geübt, insbesondere an den überwiegend prekären Arbeitsbedingungen. An welchen Stellschrauben müsste Ihrer Meinung nach justiert werden, um den akademischen Karriereweg attraktiver zu gestalten?

Oha, da fällt mir jede Menge zu ein. Aber ganz zentral sind für mich die folgenden Punkte: (1.) Sollten weniger Promotionen zugelassen werden und hier deutlich stärker auf die Qualität geachtet werden. (2.) Sollte es mehr Entfristungen auf Post-Doc-Ebene geben. (3.) Sollten mehr Professuren geschaffen werden. In Deutschland haben wir mit einem Flaschenhals wissenschaftlicher Karrieren zu kämpfen: Auf vergleichsweise viele Doktorand*innen kommen deutlich weniger Post-Doc-Stellen und schließlich nur noch sehr, sehr wenige Professuren. Es ist also von Beginn an klar, dass man dem weitaus größten Teil der Doktorand*innen keine Post-Doc-Stelle anbieten kann – selbst wenn sie sich als ausgesprochen geeignet herausstellen sollten. Das Gleiche gilt beim Übergang von der Post-Doc-Phase auf die Professur, nur das man in dieser Phase schon deutlich älter und für den außeruniversitären Arbeitsmarkt in der Regel nicht mehr allzu attraktiv ist. Da hängen zum Teil wirklich tragische Schicksale dran. Dem kann nur entgegengewirkt werden, in dem man an beiden Seiten des Flaschenhalses arbeitet und zudem die Arbeit und Expertise von Post-Docs über Entfristungen stärker honoriert. Eine wissenschaftliche Karriere sollte nicht zwangsläufig ein „Alles-oder-nichts“-Weg sein.

Sie haben im Wissenschafts- und Forschungsbereich schon einige Erfahrungen gesammelt. Welchen Ratschlag oder Tipp würden Sie Nachwuchswissenschaftlerinnen geben?

Ich würde sagen, dass man sich ein dickes Fell wachsen lassen muss, wenn man nicht untergehen möchte. Im wissenschaftlichen Arbeiten steckt nämlich auch viel Frustrationspotenzial: Analysen funktionieren nicht, man liest sich wochenlang in eine Theorie ein, die am Ende doch nicht passt und Artikel oder Drittmittelanträge, in die man sehr viel Herzblut gesteckt hat und die man selbst auch richtig gut findet, werden abgelehnt. Ich glaube, dass es hilft, wenn man sich schon zu einem frühen Zeitpunkt ganz aktiv Copingstrategien erarbeitet, die einem helfen mit Ablehnung, Kritik und der vermeintlichen Arbeit für den Papierkorb umzugehen. Das ist auch wichtig, um die Neugierde und die Freude am wissenschaftlichen Arbeiten nicht zu verlieren. Für mich ist beispielsweise der ehrliche – und nicht alleine wissenschaftliche – Austausch mit engen Kolleg*innen sehr wichtig und hilfreich.