“Eine Portion Gelassenheit ist (auch) wichtig!!”

23. März 2023

Sie sind seit 2009 Professorin für Internationale Beziehungen und Theorien globaler Ordnungen an der Goethe-Universität Frankfurt und seit 2016 noch Geschäftsführende Direktorin des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Wann haben Sie sich entschieden, in die Wissenschaft zu gehen und Professorin zu werden?

Relativ spät. Ich habe nach dem Studium zunächst andere Bereiche ausprobiert, ich habe Eventmanagement gemacht, war Referentin eines Bundestagsabgeordneten, aber nichts davon hat mir so gut gefallen, dass ich mir hätte vorstellen können, das auf Dauer zu machen. Darum habe ich mich schließlich auf ein Promotionsstipendium beworben und dann ging es gefühlt Schlag auf Schlag und plötzlich war ich Professorin. Das ist natürlich übertrieben, aber es ergaben sich immer wieder Möglichkeiten und Angebote, die mich bis zur Professur gebracht haben.

Welches war eine der größten Herausforderungen Ihrer wissenschaftlichen Karriere? Und wie haben Sie diese gemeistert?

Mir einen akademischen Duktus anzugewöhnen und ihn umgekehrt auch verstehen zu können. Ich komme aus einem klassisch bildungsfernen Hintergrund und das ist mir und anderen auch immer wieder aufgefallen. Ich habe Gesten oder Signale häufig falsch gedeutet und vielfach fiel es mir schwer zu erkennen, was in einer bestimmten Situation angemessen wäre oder auch nur warum. Das war ein schwieriger Lernprozess. Mittlerweile ist es einfacher geworden und ich bin auch schon so lange dabei, dass ich manches Anderssein heute auch selbstbewusst lebe. Als Doktorandin war das nicht der Fall.

Sie sind Mutter von drei Kindern. Wie vereinbaren Sie Familie und Wissenschaft?

Nur aus meiner Perspektive gesprochen würde ich immer sagen, es gibt keine Vereinbarkeit in dem Sinne, dass beides, Kinder und Karriere, gleichermaßen zur Geltung kommt, sondern immer ein hin und her zwischen beiden Welten. Ich habe beispielsweise keine Elternzeit genommen, sondern bin direkt nach dem Mutterschutz wieder ins Büro gegangen. Bei meiner dritten Tochter wäre es auch kaum anders gegangen, weil ich kurz zuvor die Leitung eines Leibnizninstuts übernommen hatte, aber es war auch schlicht meine persönliche Entscheidung, das zu tun. Zugleich und das ist mir wichtig zu betonen, war das so nur möglich war, weil es Strukturen gab, die das erlaubt haben und ich einen Partner hatte und habe, der das voll unterstützt hat bzw. mit dem ich das gemeinsam machen konnte. Meine Töchter kennen also von klein auf mein Büro, sie waren immer mit dabei. Bis heute gibt es mit Blick auf Familie und Wissenschaft darum auch für mich wenig „ich“, sondern ein „wir“. Mein Mann und ich machen das als Team, keineswegs immer konfliktfrei, aber als Team, sonst würde es nicht gehen.

Im Laufe Ihrer Karriere haben Sie mehrere renommierte Preise gewonnen, u.a. den Heinz-Maier-Leibniz-Preis im Jahr 2008 und den Schader-Preis im Jahr 2017. Welche Bedeutung haben solche Auszeichnungen für Sie persönlich?

Sie verblüffen mich. Es gibt einfach sehr viele sehr preiswürdige Kolleginnen und Kollegen. Wenn es einen dann selbst trifft, ist das toll, aber man weiß eben, dass es auch Glück ist. Für eine Nachwuchswissenschaftlerin sind solche Preise natürlich grandios, denn sie sind weiche Kriterien auf dem Arbeitsmarkt.

Sie sind eine Professorin, die nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Öffentlichkeit sehr präsent und aktiv ist. Seit dem Ausbruch des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine am 24. Februar 2022 sind Sie eine der von den Medien mit Abstand gefragtesten Expertinnen. Wie entscheiden Sie, welche Medienanfragen Sie annehmen und welche nicht? Und wie gehen Sie mit evtl. kritischen Reaktionen zu Ihren öffentlichen Statements in den Medien um?

Raus aus dem Elfenbeinturm (den ich sehr genossen habe), musste ich schon, seit ich als Institutsleitung eines Leibnizinstituts arbeite. Anfangs war das für mich eine riesige Umstellung, aber inzwischen habe ich mich nicht nur daran gewöhnt, sondern schätze diesen Teil meiner Arbeit auch immer mehr. Wenn es mir gelingt, öffentlich einen Unterschied zu machen, dann das ist mit der größte Lohn für mich. Der Ukrainekrieg ist nochmal eine neue Herausforderung, was die Nachfrage angeht. Ich halte es grundsätzlich so: Ich nehme Medienanfragen der großen Qualitätsprintmedien, Hörfunkanstalten und Fernsehsender an, gefolgt von öffentlichen Veranstaltungen mit großer Reichweite oder Veranstaltungen mit Zielgruppen, wo ich den Eindruck habe, da könnte ich wirklich etwas bewirken. Wenn dann noch Zeit bleibt, nehme ich auch mal etwas Exotisches und, ganz wichtig, Kinder gehen immer. Ich mache viel für und mit Kindern, gehe in Schulen, auch in einzelne Klassen, manchmal auch in Kitas.

Welchen Tipp würden Sie Nachwuchswissenschaftlerinnen geben?

Jede Zeit ist anders und jede ist anders, deswegen gibt es nicht den einen guten Tipp. Generell würde ich immer zu Gelassenheit raten. Mein Eindruck ist, dass sich Nachwuchswissenschaftlerinnen heute so enorm unter Druck setzen und auch setzen lassen. Wissenschaft ist ein riskantes Wagnis, nur wenige schaffen es auf entfristete Stellen oder Professuren. Das stimmt. PUNKT. Aber das heißt nicht, dass man deswegen keine Karriere hat. Ich kenne inzwischen so viele begabte Wissenschaftlerinnen, die aus der Wissenschaft raus, in ganz anderen Bereichen arbeiten, aber dennoch sehr glücklich sind. Wir neigen manchmal dazu, diese spezifische Wissenschaftlerlaufbahn mit unserem Lebensglück schlechthin zu verbinden, aber es gibt auch so viele tolle andere Karrieren, für die wir extrem gut ausgebildet und nachgefragt sind. Wenn wir das mehr wahrnehmen, können wir vielleicht auch die Zeit in der Wissenschaft wieder mehr genießen. Ich weiß noch nicht einmal, ob ich bis zu meiner Pensionierung wirklich in der Wissenschaft bleiben will, weil ich gern noch so vieles ausprobieren möchte. Aber: Jede Zeit ist anders und jede ist anders.