“Es lohnt sich, sich regelmäßig für Forschungspreise zu bewerben!!”

27. Juni 2022

Sie sind seit 2021 Professorin für Makrosoziologie an der FU Berlin und waren davor Professorin für Sozialwissenschaften an der Universität Göttingen. Welche Eigenschaften sind Ihrer Meinung nach wichtig, um eine erfolgreiche Professorin zu sein?

Die mit einer Professur verbundenen Aufgaben sind sehr divers und umfassend. Neben ihren Lehrverpflichtungen nehmen Professoren an zahlreichen Selbstverwaltungstätigkeiten teil und leiten ein Team von mehreren Mitarbeitenden und studentischen Hilfskräften. Es bleibt wenig Zeit für die eigenen Forschungsprojekte. Um weiterhin Zeit für die eigene Forschung zu finden, habe ich lernen müssen zu delegieren. Vertrauen zum eigenen Team ist natürlich sehr wichtig, um delegieren zu können. Ich arbeite heute viel enger mit wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen und Kolleg*innen zusammen als früher. Diese Aufgabeteilung mit engen Mitarbeiter*innen und Kolleg*innen ermöglicht, trotz konstantem Zeitmangels Fortschritte in den eigenen Forschungsvorhaben zu machen. Darüber hinaus versuche ich, mindestens einen terminfreien Tag in der Woche für die Forschung beizubehalten. Dies bedeutet natürlich auch, dass ich an den anderen Tagen der Woche teils sehr viele Termine wahrnehmen muss.

Sie haben in Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn mehrere Forschungsaufenthalte im Ausland absolviert, u.a. in Harvard, Berkeley und an der UCLA (alle USA). Wie sehr haben diese Aufenthalte Sie geprägt?

Diese Aufenthalte im Ausland waren nur relativ kurz, es ging jeweils nur um mehrere Monate. Eine solche eher kurze Dauer hat mir leider nur sehr eingeschränkt ermöglicht, wirklich tiefgehende Einblicke in andere Wissenschaftskontexte zu gewinnen. Dagegen haben mich meine verschiedenen Stationen an unterschiedlichen Universitäten oder Forschungseinrichtungen in Deutschland (Bremen, Göttingen, WZB) viel mehr geprägt. Dadurch dass ich dort jeweils mehrere Jahre verbracht habe, konnte ich den universitären Alltag intensiv kennenlernen, mich vollständig im Kollegium integrieren und zahlreiche fruchtbare Kollaborationen mit Kolleg*innen eingehen.

Sie sind gebürtige Belgierin und haben dort auch einen Teil Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn verbracht. Wie sehr unterscheiden sich das deutsche und das belgische Universitäts- und Wissenschaftssystem voneinander?

Ich komme aus dem französischsprachigen Teil von Belgien; dieser umfasst nur ein sehr kleines universitäres Umfeld mit zwei Universitäten von ca. 20.000 Studierenden sowie vier kleineren Universitäten. Die Mobilitätsperspektiven oder die Finanzierung von größeren Datensammlungen im Rahmen ambitionierter Forschungsprojekte sind in so einem universitären Umfeld deutlich eingeschränkt. Dagegen bietet Deutschland mit seiner viel größeren Auswahl an Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen viel mehr Optionen beruflicher Mobilität. Darüber hinaus gibt es in Deutschland durch z.B. die DFG die Möglichkeit, ambitionierte großangelegte sozialwissenschaftliche Projekte zu finanzieren.

Eine wissenschaftliche Laufbahn birgt – wie jede andere Laufbahn – auch einige Herausforderungen. Welches war eine der größten Herausforderungen Ihrer bisherigen Karriere und wie haben Sie diese gemeistert?

Meine größte Herausforderung ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Diese Herausforderung ist leider auch noch nicht vollständig zufriedenstellend gemeistert und wird mich in den nächsten Jahren weiterhin begleiten. Kleinkinder und Führungspositionen sind leider in Deutschland noch schwer kompatibel. Dies liegt unter anderem an einer fehlenden qualitativ hochwertigen und verlässlichen Infrastruktur rund um die Betreuung von Kleinkindern. Die Pandemie und ihre Folgen haben die Lage noch einmal drastisch verschärft. Kleinkinder sind sehr oft krank und ohne einen vernünftigen Betreuungsschlüssel und ein verlässliches Notbetreuungsangebot ist es sehr schwer, als Eltern von Kleinkindern sich auf seinen Beruf zu konzentrieren. Hier würde ich mir wünschen, dass die Bedürfnisse von Kindern und arbeitenden Eltern einen höheren Stellenwert genießen. Aber Maßnahmen, um auch in Pandemiezeiten eine einigermaßen sichere Betreuung sicherzustellen, z.B. durch die flächendeckende Anschaffung von Luftfiltern in Kitas und Schulen, scheinen leider in der Politik keine Priorität zu haben.

Sie haben 2016 den Heinz Maier-Leibnitz-Preis erhalten. Welche Bedeutung hat diese Auszeichnung für Sie gehabt?

Dieser Preis hat mir viele Türe geöffnet. Auf einmal wurde ich in Berufungsverfahren regelmäßig eingeladen. Mir war vorher nicht bewusst, wie wichtig solche Preise für die Karriere von Nachwuchswissenschaftler*innen sein können. Ich kann deshalb Nachwuchswissenschaftler*innen nur empfehlen, sich regelmäßig für Forschungspreise – sei es für die Doktorarbeit oder für bestimmte Forschungsartikel – zu bewerben.

Welchen Tipp würden Sie Nachwuchswissenschaftlerinnen gerne mit auf den Weg geben?

Mein Doktorvater hatte mir damals während meiner Promotionszeit gesagt, dass eine erfolgreiche Dissertation nur eine Zeile auf dem Lebenslauf ist. Dieser Kommentar hat mich geprägt und mir dabei geholfen, die persönliche Bedeutung der eigenen Forschungsprojekte und Papiere etwas zu relativieren und dadurch den selbstauferlegten Druck ein wenig zu reduzieren. Viele (Nachwuchs-)Wissenschaftler*innen tendieren dazu, ihre eigene Arbeit bis ins allerletzte Detail zu perfektionieren und haben Schwierigkeiten, ihre Arbeit abzuschließen und sie z.B. in einem Journal einzureichen. Absolute Perfektion zu erreichen ist allerdings illusorisch. Man muss lernen, die Arbeit irgendwann abzuschließen und los zu lassen, um etwas Neues anfangen zu können.