“Arbeiten Sie an Themen, für die Sie brennen und die Sie auch persönlich weiterbringen!”

27. Juli 2021

Sie haben seit Ende des Wintersemesters 2020/21 die Professur für Kultursoziologie an der Leuphana Universität in Lüneburg inne. Wie war das erste Semester für Sie? Was konnten Sie mitnehmen?

Ich habe das erste Semester sehr positiv erlebt. Die Forschung und Lehre völlig frei gestalten zu können, ist eine sehr schöne Erfahrung. Zwar war ich auch in meiner vorherigen Position am Centre Marc Bloch, einem deutsch-französischen Wissenschaftszentrum, recht frei in der Ausrichtung meiner Tätigkeit. Nun mit einer längerfristigen Perspektive an die Arbeit herangehen zu können, erlebe ich aber als neu. Aufgrund der langen Qualifizierungsphase im deutschen Wissenschaftssystem und den prekären Arbeitsbedingungen auch noch lange Zeit nach der Promotion fehlt die langfristige Planbarkeit und Perspektive. In diesem Semester konnte ich mich das erste Mal allein auf die inhaltliche Arbeit konzentrieren. Ich habe nun die Möglichkeit, auch längerfristige Projekte zu planen, in der Gewissheit, sie auch umsetzen zu können.

Wann wussten Sie, dass Sie Professorin werden möchten?

Ich habe schon relativ bald gewusst, dass ich dauerhaft wissenschaftlich arbeiten möchte. Das hat sich im Studium herauskristallisiert. Das Denken und Schreiben hat mir Spaß gemacht. Und das wissenschaftliche Arbeiten und Vermitteln erschien mir als sinnvolle Tätigkeit. Da dies im deutschsprachigen Wissenschaftssystem auf Dauer nur als Professorin möglich ist, war dies eine – wenn auch zunächst nur äußerst vage – Zielsetzung.

Haben Sie eine bestimmte Schreibstrategie? Oder wie gehen Sie beim Verfassen Ihrer Aufsätze oder Monographien vor?

Ich fange meist sehr früh mit dem Schreiben an und verlasse mich hier vor allem auf mein kompetenzgestütztes wissenschaftliches Gefühl. Schreiben ist für mich ein Denkprozess; manche Argumente entwickle ich nur mittels und entlang des Schreibens. Die schönsten Momente habe ich beim Schreiben erlebt, wenn ich mich selbst überraschen konnte: wenn sich aus dem, was vorher nur in Latenz bestand, durch das Schreiben ein Argument formte.

Wie wichtig ist es Ihrer Meinung nach, als Professorin in die Öffentlichkeit zu treten und die Brücke zwischen dem akademischen und dem gesellschaftlichen Diskurs zu schlagen?

Der Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse im Sinne einer öffentlichen Soziologie gehört zu meinem Selbstverständnis als Soziologin. Die Soziologie hat, wie jede Wissenschaft, eine gesellschaftliche Verantwortung, der sie nachkommen kann, indem sie ihr Verständnis von Gesellschaft einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich macht. Ich bearbeite Fragestellungen im Bereich der soziologischen Theorie und der politischen Soziologie, dabei mit starkem Gegenwartsbezug. Das Thema Polizei und Sicherheit ist dabei ein Schwerpunkt. Hier mit den eigenen, systematisch erarbeiteten Ergebnisse die öffentliche Debatte nicht zu informieren, würde aus meiner Sicht den gesellschaftlichen Wert der wissenschaftlichen Arbeit schmälern.

Haben Sie während Ihrer Laufbahn einen Tipp bekommen, den Sie besonders hilfreich fanden? Und welchen Rat würden Sie NachwuchswissenschaftlerInnen auf den Weg mitgeben?

Ich habe über meinen wissenschaftlichen Werdegang hinweg viele hilfreiche Hinweise bekommen. Den einen Tipp gab es nicht. Wichtig war für mich die Einbettung in ein Netzwerk von Wissenschaftler:innen, in dem der Austausch mit unterschiedlichen Statusgruppen, darunter mit verschiedenen in ihrer Karriere weiter fortgeschrittenen Wissenschaftler:innen möglich war – in wissenschaftlicher Hinsicht wie auch mit Blick auf strukturelle Fragen des Wissenschaftssystems. Diese Kontakte haben es mir ermöglicht, mit einer Vielfalt von Perspektiven in Berührung zu kommen und mich hiervon ausgehend orientieren und entwickeln zu können. Wenn ich einen Rat geben sollte, würde ich etwas weitergeben, das mich selbst geleitet hat: Wichtig war es für mich über die Zeit hinweg, meine Forschungsthemen nicht strategisch auszuwählen sondern nach Interesse, da sich der wissenschaftliche Karriereweg ohnehin kaum planen lässt. Ich habe so weit wie möglich darauf geachtet, zu Themen zu arbeiten, für die ich brenne und die mich auch auf persönlicher Ebene weiterbringen.